Georg Lyon Hut – Sabine Hut, 28 km, 500 Hm
Nach einer etwas unruhigen Nacht (ich wurde den Gedanken nicht los, dass in der Nacht plötzlich jemand in der Tür steht), erwartet mich auch am nächsten Morgen optimales Wetter. Und leider auch der gleiche Weg. Lustigerweise habe ich jetzt direkt vor der Hütte Satellitenempfang. Wieder zuhause lerne ich, dass die Satelliten nicht geostationär immer an der gleichen Stelle stehen, sondern sich bewegen. Und gestern Abend hatte ich wohl einfach Pech. So geht dann wenigstens die Morgennachricht gleich raus.
Meine Erwartung war jetzt gemütlich aus dem Tal vor zum Lake Rotoroa zu spazieren. Die Realität sieht leider so aus:
Kuckuck, wo ist der Weg. Besonders lustig sind auch die Stellen, an denen der Fluss das Tal etwas tiefer eingeschnitten hat und im Wald auch kein Platz mehr für einen Weg war. Dann geht es mal eben ein paar Meter den Hang hoch und später wieder nach unten, wobei hier die Bäume kreuz und quer liegen und fast kein Durchkommen ist. So werden an diesem Tag 500 Hm zusammenkommen, obwohl es eigentlich nur abwärts geht. Später lese ich, dass es im Frühjahr 2018 Schneebruch gegeben hat und viele Bäume in Neuseelands Alpen abgebrochen sind. Da nur die Touri-Strecken wirklich gepflegt werden, liegt hier eben noch alles kreuz und quer.
Weiter unten im Tal wird der Wald dann auch mal durch das mannshohe Gras abgelöst mit den gleichen Problemen der Wegfindung.
Zwischendurch weitet sich das Tal und gewährt ein paar Ausblicke:
Hier sehe ich auch die ersten Menschen seit der Blue Lake Hut, zwei Fischer, die flussaufwärts im Fluss waten. Eine gute Idee! So laufe ich am Flussufer auf großen Steinen oder auch direkt im Fluss weiter. Vom Wald habe ich gerade genug. Aber nach 1-2 km wird auch das schwierig und ich befürchte nicht mehr vom Fluss wegzukommen, da dieser immer tiefer wird und das Flussufer immer höher und steiler.
Schließlich erreiche ich die Morgan Hut. Die Hütte liegt wirklich idyllisch an einer großen Wiese in diesem abgelegenen Tal.
Im Hüttenbuch sehe ich, dass im Januar nur eine handvoll Leute hier waren und einen Tag vor mir ein Amerikaner mit dem Ziel Sabine Hut vorbeikam. Was aus ihm geworden ist, weiß ich nicht, in der Sabine Hut ist er auf jeden Fall nie angekommen…
Nach dieser herrlichen Wiese weitet sich das Tal immer öfter und ich mache Mittagspause am Fluss:
Dann erblicke ich endlich den Lake Rotoroa in der Ferne. Geschafft! Nur noch das Flussdelta queren, etwas am See entlang und dann sollte die Sabine Hut auf mich warten. Der Weg zweigt ab und führt direkt durch das Kiesbett, das am Ende sogar fast ausgetrocknet ist.
Die Flussquerung ist also kein Problem. Aber es gibt keine Markierungen mehr und auf der anderen Seite ist kein Weg in den Wald zu finden. Ich schaue auf mein Handy mit den offiziellen Karten vom LINZ, dem topographischen Institut von Neuseeland, und sehe meine Position. Ich stehe direkt an der Stelle, an der der Pfad in den Wald führt. Aber hier ist kein Pfad. Mehrmals laufe ich hin und her, aber nichts. Das gibts doch nicht, hier muss ein Weg sein. In meiner Verzweiflung laufe ich querfeldein in den Wald in der Hoffnung so auf einen Weg zu stoßen, muss aber nach wenigen Metern umkehren, da das Gestrüpp zu dicht wird.
In mir keimt Panik auf. Was tun? Warum nicht einfach zum See vorlaufen und am Ufer weitergehen. Dann sollte ich laut Karte wieder auf den Weg stoßen können. Das mache ich dann auch. Unterwegs treffe ich auf einige Pfadspuren, denen ich wenig Beachtung schenke…
Am Ufer angekommen sehe ich, dass sich mein Plan nicht umsetzen lässt. Das Wasser wird gleich so tief, dass man darin nicht gehen kann. Ein paar Hundert Meter weiter sehe ich einen Steg am Ufer, dort muss der Weg sein, aber ich erreiche ihn nicht. Schwimmen? Mit Rucksack keine gute Idee.
OK, Plan B: Auf der LINZ Karte ist ein Bach eingezeichnet mit einer Brücke. Wenn ich den Bachlauf erreiche, muss ich ihm nur bis zur Brücke folgen. Ich schlage mich ins Dickicht. Teilweise ist fast kein durchkommen. Ich krieche, robbe, zerkratze mir die Arme. Bleib mit dem Rucksack hängen. Umkehren? Zu spät. Panikmodus. Nach einer gefühlten Ewigkeit… der Bach. Zu tief, um darin zu waten. Also noch weiter am Ufer durchkämpfen. Da, jetzt könnte es gehen. Ich steige ins Wasser, es reicht mir fast bis zur Hüfte, aber es geht. Das Laufen im Bach ist angenehm im Vergleich zum Robben. Und nach einer Biegung, die Brücke…
Juchuu, ich bin gerettet 🙂 Ich klettere auf die Brücke und hier ist eine Pfadspur, zwar schon leicht überwuchert, aber noch erkennbar. ich folge dem Weg. Und dann stehe ich vor dem dritten Bachlauf ohne Brücke. Auf meiner älteren Version der Karte ist hier noch eine Brücke eingezeichnet, die gibt es inzwischen wohl nicht mehr. Jetzt probiere ich es wieder am Seeufer. Dort ist der Steg und diesmal ist das Wasser am Ufer nicht zu tief.
Endlich am Steg. Ich bin fertig, körperlich und mit den Nerven… Endlich wieder ein Weg. Der ist aber teilweise in so schlechtem Zustand, dass ich Angst habe, abzurutschen. Nimmt denn der Alptraum kein Ende?
Kurz bevor ich wieder auf den offiziellen Travers Sabine Circuit treffe, kommen mir zwei Neuseeländer entgegen. So richtige Neuseeländer mit Gamaschen und Kniebundhosen. Ich warne sie weiterzugehen und zeige ihnen meine zerkratzten Arme. Sie halten mich wahrscheinlich für einen durchgeknallten Europäer.
Die letzten zwei Kilometer sind endlos und ich merke jetzt, wie müde ich bin. Als ich die Sabine Hut erreiche, bin ich unendlich erleichtert.
So sehr habe ich mich schon lange nicht mehr über Gesellschaft gefreut. Auch wenn die Nacht sehr warm wird und die Hütte für neuseeländische Verhältnisse schon fast voll ist.
Heute rückblickend bin ich erstaunt über meine Fehler. Ich hätte nur auf meine andere Karte schauen müssen. Dort ist der Weg richtig eingezeichnet. Auf der LINZ Karte ist er falsch und der Eingang in den Wald ca. 200m zu weit vorne. Auf meinem Weg zum Seeufer habe ich den richtigen Weg gekreuzt. Die Pfadspuren habe ich ignoriert. Warum habe ich gar nicht in Erwägung gezogen, dass das der richtige Pfad sein könnte? Ich schreibe es meiner aufkommenden Panik und zunehmender Erschöpfung zu. So passieren Fehler! Zum Glück bin ich schadlos aus der Situation herausgekommen.