Der offizielle Startpunkt der Tour du Mont Blanc (TMB) liegt in Les Houches (gesprochen „Lusch“) südwestlich von Chamonix. Da ich aber von Martigny anreiste und das Omega-Hoch seit 3 Tagen schon fest etabliert war, startete ich mit der letzten Etappe entlang der Aiguilles Rouge direkt gegenüber des Mont Blanc. Somit war sichergestellt, dass ich die aussichtsreiche Strecke bei bestem Wetter auch wirklich gleich am Anfang genießen kann.
Ich nehme den ersten Zug und stehe um kurz nach 8 am Bahnhof in Vallorcine, um meinen TMB 2023 zu beginnen. Alleine die Zugfahrt von Martigny nach Vallorcine ist schon ein erstes Highlight des Tages, so verwinkelt und steil schlängelt sich die Zahnradbahn von ca. 400 m auf ca. 1200 m durch die Schweizer Berge.

Es bleiben mir etwa 4 km zum Col des Montets zum Einlaufen, bevor der Weg direkt von der Passhöhe in vielen Sepertinen steil zur Aiguilles Rouge ansteigt.

Es ist so ein Traum-Tag und mit jedem gewonnen Höhenmeter ergeben sich neue, faszinierende Ausblicke. Schon bald kommt der Mont Blanc ins Blickfeld, was für ein Berg!

Direkt gegenüber sieht man ins Argentiére-Tal mit gleichnamigen Gletscher und Hütte. Hier startete ich 2016 die Haute Route und ich kann mich noch gut erinnern, wie ich die ersten Meter nach der Seilbahn die Abfahrt zur Argentiére-Hütte hinuntergestöpselt bin.

Nachdem ich etwa 2000 m Höhe erreicht habe, führt der Weg relativ eben das ganze Massiv der Aiguilles Rouge entlang. Unterwegs passiert man die Mittelstation des Skigebiets Le Flégère, und man läuft direkt über die Terrasse einer Berghütte. Ich bin noch voller Endorphine und Tatendrang und habe keine Lust auf eine Pause. Kurz danach überquert man einen Bach, soweit ich mich erinnern kann die einzige Wasserquelle auf der gesamten Strecke, und ich erfrische mich kurz im kalten Quellwasser.

Ich treffe auf viele Tagesausflügler und auch Gruppen, u.a. ein Alpinkurs. Chamonix ist ein großes Bergsportzentrum, das viele internationale Gäste anzieht, insbesondere auch Amerikaner.

Als Tagesziel habe ich mir den Lac du Brévent am Ende der Bergkette der Aiguilles Rouges ausgesucht. Da dort oben ein Naturschutzgebiet ist, gibt es nur ein paar ausgewiesene Zonen, in denen ein Bivak erlaubt ist. Der See liegt ungefähr in der passenden Entfernung für eine Tagesetappe von 20 km und Wasser in der Nähe zu haben, ist immer praktisch, da man dann frisch gebadet in den Schlafsack steigen kann.
Vorher kommt aber noch der Anstieg auf den Le Brévent, der gleichnamige Berg mit 2525 m Höhe. Nun bin ich doch schon über 6 Stunden unterwegs und ich spüre plötzlich eine ganz schöne Müdigkeit. Mein Körper hat sich noch nicht daran gewöhnt, jetzt jeden Tag über 20 km und 1000-2000 Höhenmeter zu laufen. Oben geht es dann noch durch Blockgelände und man muss eine Eisenleiter hochklettern, wie ich später erfahre, wohl eine Schlüsselstelle auf der Tour, die ich aber ziemlich harmlos finde.

Oben angekommen kann man den Gipfel des Le Brévent auch einfach links liegen lassen und direkt den Abstieg in Angriff nehmen, aber ich denke mir, wenn ich schon da bin, gehe ich auch noch kurz zum Gipfel. Direkt daneben ist auch die Bergstation der Seilbahn, die von Chamonix hochkommt. Es ist schon nach 17 Uhr und deshalb menschenleer bis auf eine junge Frau, die sich als Amerikanerin herausstellt, und die noch gerne ins Tal fahren würde. Sie hat nur einen Tagesrucksack dabei und ist einigermaßen aufgelöst, als ich ihr erkläre, dass die letzte Bahn vermutlich schon gefahren ist.

Ich überlege mir, meinen Plan zu ändern und sie ins Tal zu begleiten, aber das will sie auch nicht. Schließlich habe ich die Idee, dass sie in der Refuge de Bellachat übernachten könne, die ist etwa 30 min von hier entfernt. Wenig später treffen wir auf ein französisches Paar, der ich die Situation erkläre, und die einwilligen, sie auf die Hütte mitzunehmen. Dann biege ich erleichtert zu meinem Tagesziel dem Lac du Brévent ab.

Es folgt ein 30 minütiger Abstieg zum See und nach einigem Suchen finde ich einen perfekten Platz direkt am Wasser. Ich bin hier nicht alleine, es zelten noch zwei andere Leute in der Nähe aber außer Sicht. Nach einem Bad im See und leckerem Abendessen vom Kocher verbringe ich hier eine wundervolle Nacht.