Tag 1: Hamburg-Wittensee km 0-108

Am Dienstag, den 30.07.2024, um 14:44 starte ich mit Gunnar von seiner Wohnung in Hamburg aus nach Norden. Wir schaffen an diesem Tag noch 108 km. Dabei war am Morgen noch völlig unklar, ob ich überhaupt losfahren kann.

Die Woche vorher war ich wie die Jahre zuvor mit meinem 8-jährigen Sohn ein paar Tage auf dem Donau-Radweg unterwegs. Da ich unbedingt mit meinem neuen Canyon Grizl fahren wollte und wir immer einen Rad-Anhänger mit Zusatzgepäck mitnehmen, habe ich mir extra eine Steckachse und Anhängerkupplung für mein neues Grizl besorgt. Das klappte zuächst auch problemlos. Nur einmal wunderte ich mich, dass die Achse locker war und ich zog sie einfach nach. 25 kg sind doch eine ganze Menge, die da an der Achse reissen…

Anhänger noch mit meinem MTB im Jahr zuvor

Zuhause wollte ich wieder die Originalachse einbauen, aber die Achse saß fest. Nur mit Werkzeug und Kraft gelang es mir sie zu lösen. Dabei muss ich das Gewinde beschädigt haben, denn die Originalachse lies sich nun nicht mehr komplett reinschrauben und das Hinterrad war locker. Ich werde mir doch nicht den Rahmen zerstört haben, das Achsgewinde sitzt im Rahmen… Es war Freitag 17:25 Uhr und am Montag um 15 Uhr wollte ich nach Hamburg fliegen. In Panik eilte ich noch schnell zu meinem Fahrradhändler SportMike in Stockerau. Die Mechanikerin half mir schon öfters aus der Patsche, meinte aber, dass sie in diesem Fall nichts machen könne: Hier hilft nur Schaltauge tauschen oder Gewinde neu schneiden.

Zum Glück erreichte ich noch jemanden beim Canyon Support und er empfahl mir zu einem Canyon Serviceshop zu gehen. Glücklicherweise gibt es in Hamburg einen der Größten in ganz Deutschland: RADRACE. Also flog ich mit meinem Grizl nach Hamburg in der Hoffnung, dass sich das Rad schon irgendwie richten lässt. Am Dienstag um 12 Uhr standen wir dann auch pünktlich zur Ladenöffnung bei RADRACE in Hamburg Nähe Fischmarkt auf der Matte und ich erzählte meine Geschichte, dass ich auf dem Weg zum Nordkap sei und man mir unbedingt sofort helfen müsse, da sonst die ganze Tour in Frage steht.

RADRACE in Hamburg

Ein junger Mechaniker schaute sich das Rad an und diagnostizierte relativ schnell: „Totalschaden, der Rahmen muss getauscht werden. Das Gewinde sitzt fest im Carbonrahmen und kann nicht getauscht werden“. Ich brauchte eine Minute, bis mein Gehirn in der Lage war, das Gesagte zu verarbeiten: „Achim, er hat gerade gesagt, das war es mit Deiner Nordkap-Tour“, sprach ich mit mir selbst. „Was mache ich jetzt die nächsten 4 Wochen?“, war mein nächster Gedanke. Kleinlaut wiederholte ich noch, was ich bei SportMike in Stockerau erfahren hatte: „Kann man das Gewinde nicht neu schneiden?“. Etwas unwillig verschwand der Mechaniker in der Werkstatt mit den Worten: „Ja vielleicht, aber einen passenden Gewindeschneider haben wir vermutlich sowieso nicht“.

Nach 15 min kam er mit dem passenden Gewindeschneider zurück, fettete ihn mit Gewindeöl ein, setzte an und drehte das Ding Umdrehung für Umdrehung in die Achsöffnung. Sah jetzt nicht so schlecht aus. Er nahm eine neue Achse, steckte sie rein und ein leichtes Lächeln huschte über sein Gesicht, nachdem er bis dahin keine Miene verzogen hat, eben eher der norddeutsche Typ: Das Hinterrad saß fest. Mir fielen 5 Steine vom Herzen und ich musste mich beherrschen, dass ich dem Mechaniker nicht noch die Füße küsste. Ich beglich die Reparaturkosten, die im Vergleich zu einem neuen Rahmen eher lächerlich waren, und gab fast noch mal den gleichen Betrag in die Mechaniker-Kaffeekasse. Ich muss sagen, dieser Schock hat mich noch mindestens die nächsten 2 Tage in Gedanken begleitet, vielleicht sogar bis zur Fähre nach Norwegen, bei der mich ein weiteres Erlebnis der dritten Art ereilte, doch dazu später mehr…

Immer noch nervlich angeschlagen saß ich kurze Zeit später am Hamburger Hafen mit Gunnar und wir überlegten, was mit dem Tag noch anzufangen wäre.

Wir waren beide scharf darauf, auf dem Rad zu sitzen, und warum in Hamburg eine Runde fahren, wenn man noch gen Norden aufbrechen kann. 100 km sollten um diese Uhrzeit noch machbar sein. Also fuhren wir zu Gunnars Wohnung, aßen, packten und um 14:44 Uhr ging es los. Richtung Nordkap. Bzw. vorher nach Groß Wittensee. Dort hatte ich uns ein Hotelzimmer reserviert.

Es ist alles noch sehr ungewohnt. Das Rad fährt sich etwas schwerfällig mit den 10 kg Zusatzgewicht. Bin ich jetzt wirklich unterwegs zum Nordkap? Die ersten Kilometer aus Hamburg raus sind ziemlich mühsam und heiß, viele Stopps, Ampeln, Radwege, Kreuzungen, doch irgendwann wird es ruhiger und wir sind auf der Landstraße mit vielen Geraden und Alleen.

Mein Nacken zwickt, der linke Fuß schläft ein, gerade kann ich mir nicht vorstellen noch 3000 km zu fahren. Gegen 18 Uhr bei einer kurzen Pause denke ich mir, ich rufe mal kurz im Hotel an, bis wann es Abendessen gibt, denn in Groß Wittensee gibt es sonst nix außer diesem Hotel. „Bis 20 Uhr sicher, evtl. auch 20:30, wenn viel los ist. Der Koch kostet Geld und soll nicht untätig in der Küche rumstehen…“, erhalte ich als Antwort. Na toll, das wird knapp, bis 20 Uhr könnte sich gerade so ausgehen, wenn wir das Tempo beibehalten. In Rendsburg müssen wir den Nord-Ostsee-Kanal per endloser Rolltreppe und Tunnel unterqueren und verfahren uns auch kurz. Um 20:15 Uhr sind wir endlich beim Hotel und bestellen noch vor dem Einchecken sofort unser Abendessen. Und Gunnar hat Hunger und verputzt vier Teller voller Essen…

Müde, satt und frischgeduscht liege ich wenig später im Bett. Willst Du wirklich bis zum Nordkap fahren, frage ich mich wieder. Ich bin mir nicht sicher und versichere mir selbst jederzeit abbrechen zu können, wenn ich keine Lust mehr habe. Die Faustregel „um 14:45 Uhr kann man noch 108 km fahren“ jedoch, sollte mich noch die restliche Tour begleiten und musste immer dann herhalten, wenn ich an einem Tag größere Strecken fahren wollte. Zum Glück sollte ich zu dieser Uhrzeit immer schon viel weiter sein…

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